Und wieder einmal schäme ich mich, Bürger eines Landes zu sein, das es sich gefallen lässt, dass alle humanitären Grundsätze auf dem Altar machtpolitischer Spielchen geopfert werden und damit zur treibenden Kraft einer Abschottung Europas gegen Menschen wird, die zu uns kommen wollen, um Schutz und Frieden finden.

Denn genau das ist es, was Seehofer und Merkel mit ihrem kindischen  Zoff in den letzten Tagen erreicht haben:

Keine private Seenotrettung mehr im Mittelmeer, nicht einmal mehr die Aufklärungflüge möglich, weil die Flugzeuge der NGO’s faktisch mit einem Startverbot belegt sind:

„Der „Moonbird“-Einsatzleiter Ruben Neugebauer sprach von politischem Kalkül: „Ganz offensichtlich soll es keine unabhängigen Augenzeugen geben, die das Sterben und die Menschenrechtsverstöße auf dem Mittelmeer dokumentieren.“ Die europäische Öffentlichkeit solle nicht erfahren, „wie barbarisch die Abschottungspolitik an den Außengrenzen“ durchgesetzt werde. „Es soll keine Beweise geben, wie Menschen ertrinken oder wie die sogenannte libysche Küstenwache agiert.“ „

Die Auswirkungen dieser Kehrtwende in der deutschen Politik – weg vom „Wir schaffen das!“ , hin zum „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen“ (beides Zitate unserer Kanzlerin) – hat damit alleine in den letzten Tagen den Tod von über 600 Menschen mit zu verantworten, denn sie hat den Hardlinern in den Mittelmeeranrainerstaaten noch mehr Aufwind verschafft, als die ohnehin schon hatten.
Auch die Blockade der Häfen in Italien und Malta und die mögliche Bestrafung der Kapitäne  privateer Rettungsschiffe dürfte auf das Konto genau dieser Politik gehen, wie vom österreichischen Bundeskanzler Kurz griffig so in Worte gefasst wurde:

„Wenn uns die Deutschen dazu drängen, weil sie selbst nationale Maßnahmen setzen, dann sind wir darauf vorbereitet und auch dazu bereit“

Die Deutschen?
Also wir?
Ist das wirklich so, dass wir, die Mehrzahl der Bürger dieses Landes darauf drängen, dass im Mittelmeer die Menschen sterben?
Geschieht das in unserem Namen?

Wenn ich mich so umsehe in Bloggerdorf oder bei Facebook, dann lese ich da andere Dinge – jedenfalls meisstens.
Auch wenn ich zugeben muss, dass ich neulich in einem Blog Worte wie „Flüchtlingspack“ und „Ausländergesocks“ gefunden habe, und auch die Kommentare zu Presseartikeln zu diesem Thema von ähnlich abwertenden Äusserungen strotzen, verfasst von einer (kleinen?)  Gruppe von Leuten, die wie Pawlows Hunde gebetsmühlenartig immer wieder das gleiche in die Tastatur hämmern, sobald sie das Wort „Flüchtling“ nur lesen…. immer mit dem Tenor: „Das gehört nicht zu Deutschland!“ und „sollen sie doch verrecken…was geht uns das an?“

Aber zum Glück ist da auch die grosse Gruppe der Leute, die dem konsequent widersprechen und die mir Hoffnung gibt, dass es eben nicht die Mehrheit der Menschen in diesem Land ist, die so denkt.
Allen Gaulands, Seehofers und Söders zum trotz.

Und doch stelle ich mir die Frage, wie lange es dauert, bis auch diese Mehrheit zu bröckeln beginnt? Denn Merkels Umfallen bewirkt ja nicht nur eine Änderung nach aussen, sondern auch in unser Land hinein:
Wenn schon die Kanzlerin „eingesehen hat“, dass es so wie bisher nicht weiter gehen kann, wenn es kein „Wir schaffen das !“ mehr gibt, wenn Abschottung zum Konsenz wird und Unbarmherzigkeit zum politischen und gesellschaftlichen Credo, wie ändert sich dann das Denken und Empfinden der Menschen in diesem Land?
Wie wird sich diese unmenschliche Kälte der neuen Regierungslinie in einem Jahr auswirken oder in zwei Jahren?

All das Fragen, auf die ich momentan keine Antwort finde und die mir Angst machen.

Wobei ich mittlerweile denke, dass diese neue Kälte nicht alleine der aufstrebenden AfD zuzuschreiben, sondern  vor allem auch ein Resultat politischer Entwicklungen ist, die diese nationalistischen und rassistischen Zeitgenossen von Anfang an nicht wirkungsvoll eingegrenzt haben.
So warte ich z.B. immer noch auf deutliche Worte aus dem Regierungslager, die diese Herrschaften als das definieren, was sie sind: Nazis.

Aber nichts dergleichen geschieht.
Stattdessen schwenkt man auf deren Linie ein, um  ihnen so das Wasser abzugraben –  macht sich zum Handlanger dessen, was diese Leute fordern?
Das das nicht  funktioniert, sollte selbst dem begriffstutzigsten Politiker inzwischen aufgefallen sein. ‚
Da reicht ein Blick in die letzten Umfragen, um das zu erkennen.

Um so mehr verwundert mich, dass Frau Merkel Seehofers Erpressung nachgegeben  – und sich selbst damit auch noch des letzten Restes an Respekt und Achtung beraubt hat, den sie sich damals mit ihrem „Wir schaffen das!“ erworben hatte. Was bleibt, ist die Elegie ihrer Kanzlerschaft, von der man später möglicherweise nur sagen wird, sie habe der AfD in den Sattel geholfen –  ähnlich, wie von Franz von Papen, einem der Steigbügelhalter der Hitler-Diktatur.