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Schwer auszuhalten

Gestern Abend  lief im ZDF zu später Stunde ein Film, der sich mit einem Thema beschäftigte, das auch heute immer noch ein Tabu-Thema ist:
Das Euthanasieprogram der Nazis, das zum Ziel hatte, gezielt behinderte Menschen umzubringen, die in Anstalten lebten.
Festgemacht an der Geschichte des Ernst Lossa, eines Jugendlichen, der als gesundes Kind in der Anstalt gelandet war, weil er als Kind einer jenischen Familie nicht ins Idealbild des damaligen Regimes passte:

Eine traurige Geschichte und auch ein trauriger  und bewegender Film, der aber bei aller zur Dramaturgie notwendigen Anpassung doch sehr genau zeigt, was damals geschah – wie er auch ein realistisches Bild davon zeichnet, wie sich Leben in Behinderteneinrichtungen bis in die späten siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein abspielte.
Vieles sah genau so aus, wie ich es als Kind und Jugendlicher im Dorf  und auch als junger Mitarbeiter und Zivildienstleistender in einer Behinderteneinrichtung selbst noch erlebt habe.

Auch das Thema „Euthanasie“ ist mir in diesen Jahren immer wieder begegnet, denn es gab noch ältere Kollegen, die sich an diese Zeit erinnern konnten.
So fielen dann auch schon mal Sätze wie:

„Bei den Nazis wäre der ….“

wenn sich ein Bewohner besonders „aufsässig“ verhielt.

Denn dass auch Bethel, mein Arbeitgeber   – wenn auch nicht aktiv –   an diesem Programm beteiligt war, war ein offenes Geheimnis.

Später, während meiner Ausbildung habe ich mich nochmal intensiver damit beschäftigt und zusammen mit Mitschülern im Rahmen des Ethikunterrichtes dazu  in den Anstaltsarchiven recherchiert.
Dabei kamen neben Eintragungen in älteren Krankenakten  auch interne Schriftwechsel zutage, in denen offen darüber nachgedacht wurde, nach welchen Kriterien man innerhalb der Anstalt die Forderungen des T4-Programmes umsetzen wollte und welche Bewohner dafür in Frage kämen:

Man wollte sich die Hände zwar nicht selbst schmutzig machen, sondern verlegte – teils in voreilenden Gehorsam – die betreffenden Bewohner in die „zuständigen“ Landeskliniken, nicht ohne den Angehörigen mitzuteilen, dass dies geschähe, weil

„….ihrem lieben Kinde dort  besser geholfen werden kann, als wir dazu in der Lage wären….“

Intern rechtfertigte man das damit, dass man nur so verhindern könne, dass

„.. die Mehrheit unserer Kranken dem Programm unterworfen werden……
….wir müssen also Einige opfern um Viele zu retten….“

Perfide Sätze, die Unruhe verhindern sollten, aber dennoch nicht unbedingt der Auffassung der Verfasser einiger diese Briefe entsprachen, die trotz ihrer geistlichen Profession überzeugte Anhänger des Hitler-Regimes waren und ihre Briefe mit einem donnernden „Heil Hit…“ unterschrieben.

Auch der Name Ernst Lossa ist mir in diesem Zusammenhang das erste Mal begegnet, als wir im Rahmen unserer Archivarbeit in Kontakt zu anderen Behinderteneinrichtungen getreten sind.

Bethel selbst hat eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema“Euthanasie“ lange vermieden, das intern mit der Umschreibung „Gnadentod“ tituliert  und sogar in den alten Schriftwechslen teilweise als

„Ein Segen“

für die Betroffenen  bezeichnet wurde:
Die Aufarbeitung begann erst Mitte der neunziger Jahre, als es lange keine Mitarbeiter mehr im aktiven Dienst gab, die während der Nazi-Zeit schon in der Anstalt gearbeitet haben und als mögliche Zeitzeugen zur Verfügung hätten stehen können.
Und selbst da wurde wirklich nur soviel zugegeben, wie ohnehin schon in die Öffentlichkeit gedrungen war – u. A. durch Veröffentlichungen des von mir sehr geschätzten Ernst Klee in den achtziger Jahren.

Insofern war es auch ein Stück meiner eigenen Geschichte, die mir gestern Abend in dem wirklich sehr gut gemachten Film „Nebel im August“ wieder begegnet ist, den ich für unbedingt empfehlenswert halte.

Deshalb gebe ich  auch gerne den Hinweis auf die ZDF-Mediathek, in der man den Film noch bis zu 03.02.2019 abrufen kann.


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5 Replies to “Schwer auszuhalten”

  1. Mir hat der Trailer schon so zugesetzt… Ich habe ja die vergangenen fünf Jahre für einen Schutz- und Sicherheitsdienst gearbeitet, bis ich mich dann ab Juni 2018 dauerhaft krank schreiben lassen musste. Und da war ich als Museumsaufsicht tätig, meistens in der Residenz, hin und wieder auch im NS-Dokumentationszentrum. Vor etwa zwei Jahren gab es dort eine Sonderausstellung zum Thema Euthanasie. Ich habe mich einen Tag lang sehr in die Texte und Bilder vertieft, habe vieles davon auch fotografiert…

    1. Deinen Schock kann ich gut nachvollziehen.
      So ging es mir damals ja auch, als ich mich da erste Mal näher mit dem Thema beschäftigt habe und zudem feststellen musste, wieviel Energie seitens der Krankenhausträger darauf verwendet wurde diesem Thema auszuweichen.

      Insofern empfinde ich den Film als ein wichtiges Instrument, es wieder ins Gespräch zu bringen und auch Menschen damit zu erreichen, die sich mit Dokumentationen niemals beschäftigen würden.

  2. Puh – mit deiner Besprechung hast du dem ganzen noch einen aufgesetzt. Ich habe ihn auch gesehen und habe ihn bis jetzt noch nicht verdaut. Als ich auf die Welt kam (65) sagte man meiner Mutter angesichts meiner Hexadactylie : „Da hat Mama wohl zu viel gestrickt. Vor nicht allzulanger Zeit, hätten Sie Ihre Tochter gar nicht zu sehen bekommen.“ In vielen Familien auf dem Land (wir sind ja gebürtig aus dem Bergischen) war es wie eingemeißelt, dass sie ihre Kinder, war die Missbildung auch noch so unscheinbar oder klein, vor der Außenwelt abschirmten, sie versteckten. Viel schlimmer aber als die Erinnerungen daran, bzw. die Erzählungen davon finde ich, dass wir von einer Wiederholung gar nicht so weit entfernt sind. Und zwar weniger die Wiederholung des Versteckens, sondern die öffentlichen Forderungen danach, dass man sein Kind doch zu Hause lassen sollte, dass Eltern von Kindern mit Einschränkungen heute wieder vom Zutritt zu Veranstaltungen „abgeraten“ wird oder offen gesagt wird „das können wir unseren Gästen nicht zumuten!“

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