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„Im Jahr 1922…“

„…verurteilte ein Richter Adolf Hitler zu drei Monaten Gefängnis wegen Landfriedensbruchs, ein englischer Forscher entdeckte das Grab Tutanchamuns, James Joyce veröffentlichte den Roman Ulysses, die Kommunistische Partei Russlands wählte Josef Stalin zum Generalsekretär und ich wurde geboren.“

Nachdem es ja schon länger her ist, dass ich das letzte neue Buch angefangen habe, nehme ich mir nun etwas zu lesen vor, das noch recht frisch auf dem Markt und schon in aller Munde ist.
Die Geschichte der Stella Goldschlag, aufgearbeitet in Romanform von Takis Würger.

Über Stella Goldschlag habe ich ja schon einiges gelesen, meist dokumentarisches und Teils recht eingefärbt von der gerade herrschenden moralischen Einstellung Menschen wie ihr gegenüber. Deshalb finde ich es auch interessant, da mal einen anderen Ansatz zu lesen, in dem ihre Geschichte wohl auch  von ihr selbst aus ihrer ureigensten Sicht erzählt wird.

Stella

wird also spannend für mich werden, zumal ich mich bisher beim Lesen von Texten über sie  immer wieder gefragt habe, was Menschen dazu treibt, so zu handeln wie sie es getan hat.
Als Jüdin im dritten Reich andere Juden an die Nazi-Schergen zu verraten?
Wie kann das angehen?
Und dabei bin ich für mich selbst zu dem Ergebnis gekommen, dass dazu nicht nur viel Zwang nötig war, sondern vielleicht auch ihr Wunsch, diesen Wahnsinn einfach irgendwie zu überleben – koste es was es wolle.

Der Klappentext ist – wie auch die breit aufgestellte, teils reisserische Werbekampage für dieses Buch – eher peinlich:

„Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: „Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt.“ Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt: Wird sie, um ihre Familie zu retten, untergetauchte Juden denunzieren? Eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht – über die Entscheidung, sich selbst zu verraten oder seine Liebe.“

Aber das muss  wohl so sein für einen Roman, der sich gut verkaufen soll.

Also fange ich mal an zu lesen und dann wird sich zeigen, ob das Buch seinem Anspruch und vor Allem: Stella Goldschlag gerecht werden kann.
Dazu werde ich sicher noch was schreiben , wenn ich mit ihm fertig bin.


Mein Fazit:

Ein merkwürdiges Buch, dass mit seinem Blick auf Stella Goldschlag dieser Frau wirklich nicht gerecht wird .
Zwar erfährt man etwas über ihre Motive und auch über ihre Zweifel, aber eher zwischen den Zeilen und sehr versteckt, wenn man ihre Geschichte nicht kennt.

Schade, denn diese wirkliche Geschichte wäre es wert gewesen, erzählt zu werden.
Ohne Kitsch und Nabelschau des Autors, der seinen Protagonisten in Ichform aus der Perspektive des Liebhabers erzählen lässt und sich am Ende gar zum „virtuellen“ Vater ihrer Tochter macht,  durch diesen Stil aber die eigentliche Hauptfigur Goldschlag immer wieder in eine Nebenrolle rückt und damit ihr schreckliches Tun beinahe verdeckt.
Insofern haben die vernichtenden Kritiken auch recht, die über dieses Buch zur Zeit kursieren:

„Die Frage ist sowieso, wo Auschwitz anfängt, ob bei der Gaskammer, der Rampe, dem Tor, der Zugfahrt, der Deportation, der Verhaftung – von den anderen Vernichtungs- und Konzentrationslagern, den Erschießungsaktionen und Hunger- und Seuchentoten im Ghetto ganz zu schweigen.

Je nach Antwort ist Würgers „Stella“ ein Ärgernis, eine Beleidigung oder ein richtiges Vergehen – und das Symbol einer Branche, die jeden ethischen oder ästhetischen Maßstab verloren zu haben scheint, wenn sie ein solches Buch auch noch als wertvollen Beitrag zur Erinnerung an die Schoah verkaufen will. Selbst Stella Goldschlag hat diesen Roman nicht verdient.“


930

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