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„Es wird komplett normal sein“

So lautete das Fazit von Jenke von Wilmsdorf zu seinem Experiment, sich in die Welt der Pflege zu begeben.
Auch – und in letzter Konsequenz – in der Rolle des Pflegebedürftigen. Zwar nur für ein paar Tage, aber doch ohne wenn und aber. Das war eigentlich der Grund, warum ich mir die Sendung gestern Abend auf RTL  überhaupt angesehen habe, über die ich vor ein paar Tagen schon mal geschrieben hatte.
Und ich muss sagen, es war recht gut, was da gezeigt wurde und wie es gezeigt wurde.
Aus der Sicht des Pflegenden wie auch der zu Pflegenden wurde das Thema gut beleuchtet – mit der gehörigen Distanz wo nötig war und mit der grössten Nähe, wo möglich. Auch die Ängste auf beiden Seiten wurden thematisiert, ohne sie überzubewerten oder zu banalisieren.
Schlussendlich mit dem Tenor:

„Es gibt immer ein erstes Mal – danach wird es zum Alltag“

Egal, ob das erste mal Essen angereicht bekommen, die erste Grundpflege, die erste Intimpflege oder die  erste Versorgung nach dem Toilettengang – eine peinliche und grenzüberschreitende Situation ist das allemal.  Nicht nur für den Pflegebedürftigen. Aber im Lauf der Tage wird auch das zur Normalität, die Peinlichkeit lässt nach und die Grenzen verschieben sich.
So jedenfalls die Auffassung des Autors.
Dem kann ich aus der mir gut bekannten Perspektive des Pflegenden nur beipflichten – auch wenn es mir natürlich trotzdem immer noch schwer fällt, diese Situationen aus der anderen Perspektive nachzufühlen (die mir im Übrigen trotzdem ein wenig zu kurz dargestellt war.) oder mich in diese Position hinein zu versetzen…
Dennoch fand ich es gut, dass  – und wie – dieses Experiment gemacht wurde.
Ganz ohne Effekthascherei und irgendwelche Aufgeregtheiten.
Total normal halt – und das war gut so.

Auch wenn es möglicherweise nicht Vielen helfen wird, besser mit den eigenen Ängsten umzugehen – den Ängsten vor dem ersten Mal.


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14 Replies to “„Es wird komplett normal sein“”

  1. Ich habe das Experiment nicht gesehen, werde es mir auch nicht ansehen..Eben auch weil mich Ängste plagen.
    Als ich jung war, habe ich in den Ferien während der Abiturzeit in einem Krankenhaus gearbeitet. Auch dort gibt es Situationen, in der Menschen plötzlich bei allem auf Hilfe angewiesen waren. Ich habe immer vesucht, ruhig und gelassen zu agieren, so als wäre alles das Natürlichste der Welt. Manchem hat es die Scham genommen. Und die Frau, die ihre langen Haare immer zum Zopf geflochten hatte, bekam den Zopf. Es gab damals noch einen ganz anderen Personalschlüssel und trotzdem habe ich dafür oft die Pausen genutzt. Bis ich einen Anschiss bekam vom Chefarzt, dass er mich nach Hause schickt, wenn ich meine Pausen nicht einhalte. Es ist sonst nicht durchzuhalten. Ich hatte als Pflegender ständig das Gefühl, nicht genug getan zu haben. Das gab eine Menge Tränen, in der Wäschekammer, wenn es keiner sah.
    Und jetzt? Ich habe weniger Angst davor, jedwede Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich habe Angst davor, mit Krankenkassen zu streiten, wieviele Klogänge mit Hilfe mir zustehen und wann es „ökonomischer“ ist, mir eine Windel um den Arsch zu packen. Sauber und satt reicht eh nicht. In manchen Ländern geht man anders mit den Alten und Hilfebedürftigen um. Ich werde immer darum kämpfen, dass ich in Ruhe gehen darf, wenn ich alles nicht mehr ertrage.

    1. Den Streit mit der Krankenkasse wird es nicht geben… wenn ein guter Pflegedienst im Spiel ist.
      Denn letztendlich werden die Pfegepläne in Absprache zwischen den Pflegebedürftigen und den Pflegenden gemacht und der Pflegedienst kümmert sich darum, dass das entsprechend finanziert wird.
      Wobei Menschen mit wenig Geld eigentlich im Vorteil sind, weil das, was die Pflegekasse qua Pflegestufe übernimmt durch Gelder vom Sozialamt aufgestockt wird, meisst ohne allzugrosse Diskussion mit dem Amt.
      Wohingegen Menschen, die selbst zuzahlen müssen oft sehr auf den Pfennig gucken (müssen) und deswegen eher die Minimalversorgung haben.

      Das ist halt die Crux, weil die Sätze der Plegestufen viel zu knapp berechnet sind – eigentlich schon, seit es die Pflegeversicherung gibt

      1. Ich möchte diese Gelder nicht. Wenn ich nicht mehr zurecht komme, dann möchte ich gehen dürfen. Wenigstens sollte man das dann erlauben und nicht in ökonomiegesteuerter Scheinheiligkeit versinken.

        1. Ich wüsste nicht, wer Dir das verbieten sollen wollte……

          Die andere Frage ist dabei natürlich die, was machen, wenn Du diese Entscheidung – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr alleine umsetzen kannst. Die Hürden für Sterbehilfe in Deutschland sind sehr hoch, aus gutem Grund.
          Das ist auch richtig so, auch zum Schutz der Menschen, die mit der Frage als Ärzte und Pflegekräfte konfrontiert sind. Legal ist eigentlich nur der Weg über eine Patientenverfügung, in der genau festgelegt ist, welche Massnahmen durchgeführt werden dürfen oder nicht, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist selbst zu entscheiden.
          Und selbst da ist aktive Sterbehilfe ausgenommen und mit Strafen bewehrt…..

        2. Es ist ja nicht verboten, sich das Leben zu nehmen. Man muss es nur selber tun und das könnte schwierig werden, wenn man den Zeitpunkt verpasst, wo man das noch kann.

  2. Wie kann das denn passieren ich hatte gerade einen längeren Bericht geschrieben zum Thema Altenheime. Und nichts ist zu sehen ..Nachdem ich den Bericht zugeschickt hatte – vielleicht schreib ich es später noch mal.

  3. Die Sendung auf RTL habe ich gestern bewusst nicht gesehen.
    Eine sehr gute Freundin von mir war viele Jahre als examinierte Altenpflegerin in einem Seniorenheim tätig. Ich habe mit viel Liebe zu den Menschen und viel Engagement dort gearbeitet. Auch gehörte sie zu den Menschen die – wenn ihr etwas nicht zu sagte das angesprochen hat. Mit welchem Erfolg: sie wurde eines Tages fristlos gekündigt und durfte das Haus nicht mehr betreten. Zuvor hat sie nie eine Abmahnung gehabt es war also nichts was ihr arbeitsmäßig fortzuwerfen gewesen wäre.
    Selbstverständlich hat sie einen Arbeitsprozess gegen ihre Arbeitgeber geführt den sie auch gewonnen hat. Auf eine Wiedereinstellung hat sie verzichtet.
    Meine Freundin hat die zu bemängelnden Sachverhalte auch weitergeleitet an die Stellen die sich eigentlich darum hätten kümmern müssen sie hat soweit ich weiß auch Anzeige erstattet. Das alles wurde niedergeschlagen. Irgendwann hat er die Freundin leider nicht mehr die Kraft das weiterhin zu verfolgen.
    Die Inhaber dieses Hauses ein nach außen hin sehr christlich praktizierendes Ehepaar sind sich scheinbar keiner Schuld bewusst.

    Von einer anderen Seite habe ich gehört dass eine Frau die ihre Mutter jeden Mittwoch im Seniorenheim besuchte darauf hingewiesen wurde besuch doch deine Mutter nicht immer mittwochs kommen doch mal gelegentlich an einem anderen Wochentag. Jeweils mittwochs zu der bekannten Uhrzeit hatte die Mutter im Rollstuhl gesessen gut angezogen gut frisiert zurecht gemacht saß sie am Kaffeetisch. Das lief so aber nur an diesem wöchentlichen Mittwoch ab nicht an anderen Wochentagen. Wer hier also lesen sollte: ohne dass ich die Heime eurer Eltern oder Angehörigen schlecht machen will geht auch mal zu anderen Zeiten als sonst üblich zu Euren Angehörigen.

    Es erschüttert mich was manchmal zu hören und zu lesen ist über Seniorenbetreuung in Deutschland. Wir sind ein so zivilisiertes Land.. vieles darf nicht sein so wie es läuft bzw wie es zu lesen ist.

    Ich habe davon sehr profitiert dass meine Freundin Altenpflegerin war sie konnte mir viele gute Hinweise zur Pflege meiner Mutter geben.

    Eine weitere schlechte Erfahrung habe ich damals mit dem Roten Kreuz gemacht dort rief ich an und nach einem Kurs der Altenbetreuung im häuslichen Bereich zu erkundigen und es wurde mir gesagt wer melden uns wieder bei Ihnen. Das war 2007 die Antwort kam nie. Wir haben es glücklicherweise auch so geschafft.

    1. Das es in der Pflege an manchen Stellen hapert ist mir durchaus bekannt und wurde in dem Film auch thematisiert.
      Aber es betrifft wirklich nur einen kleinen Teil der Altenpflegeeinrichtungen und auch der ambulanten Pflegedienste – und dann wieder zumeist solche Träger (Pflegekonzerne) die das Geschäft mit hoher Gewinnerzielungsabsicht betreiben, weil die Geldgeber das erwarten.
      Will sagen, dass dort oft rigorose Sparkurse gefahren werden, in der Regel auf Kosten des Pflegepersonales und oft mit Füllung der Lücken durch Zeitarbeitsfirmen – was sich natürlich auch in der Qualität der geleisteten Arbeit bemerkbar macht, denn Bindungen zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen können so nicht entstehen, die wichtig wären für eine optimale Versorgung.

      Überhaupt ist Zeitarbeit in diesem Zusammenhang die Pest und gehört verboten, denn damit ist nur den Trägern der Pflegeeinrichtung gedient. Pflegebedürftigen und dem Stammpersonal nicht. So lassen sich nämlich prima die knappen Personalschlüssel schönen, in dem die Zeitarbeiter nur stundenweise eingesetzt werden und teilweise an einem Tag in drei bis vier verschiedenen Häusern oder Pflegediensten arbeiten.

      Kurz gesagt also:
      Wo draussen „Residenz“ draufsteht, wird man innen eher das Gegenteil vorfinden, wenn man mal hinter die Kulissen guckt. Deshalb wäre meine erste Frage nach dem Blick in Schmutzraum und Küche auch, ob in der Einrichtung Zeitarbeiter eingesetzt werden und wenn ja, wie oft. Gibts darauf eine ausweichende Antwort: Finger weg!

      ————————

      Zum roten Kreuz sage ich jetzt mal bewusst nichts, denn auch das ist ein Konzern und alles andere als mildtätig. Was man daran sehen kann, dass die sich mit Händen und Füssen sperren, ihre Mitarbeiter nach Tarif zu bezahlen oder Mitarbeitervertretungen zuzulassen. Selbst Fortbildungen wie die von Dir angestrebte lassen die von Ehrenamtlichen abhalten – weil sie so keine teuren Personalkosten haben.

      1. Deshalb werde ich ausgemusterte Kleidung auch nicht in diese Behälter, ich bringe sie direkt zur ständigen Kleiderkammer.

  4. Ich habe die Sendung auch nicht gesehen, weil ich schon um 20 Uhr ins Bett geplumpst bin. Ich habe allerdings reichlich ungute Erinnerungen an die Zeit meiner Großmutter im Heim, wo ich fast täglich war und wo so gut wie nix gestimmt hat. Selber habe ich keine Angst, solange wir zu zweit sind… Angst macht mir, alleine zu sein und niemanden zu haben, der nach mir guckt, wenn ich es selber nicht mehr kann.
    Und zum Roten Kreuz sage ich nur, die kriegen als Spende nicht mal den Dreck unter meinen Fingernägeln, soviel steht fest

  5. „Aber im Lauf der Tage wird auch das zur Normalität, die Peinlichkeit lässt nach und die Grenzen verschieben sich.“
    Bei den Pflegenden vielleicht, bei den Hilfsbedürftigen eher weniger. Von den vielen Missbrauchsopfern unter den Behinderten ganz zu schweigen. Wer gelernt hat richtig zu pflegen, weiß Peinlichkeiten zu reduzieren. Ich habe es selten mit Fachkräften zu tun. Das kann man sich auch nicht unbedingt aussuchen. Und öfter stimmt die Chemie nicht. Da ich keinen RTL-Empfang habe konnte die Sendung nicht sehen. Ist auch nicht nötig. Letztlich gibt es sie nämlich nicht: Die nachvollziehbare Behinderung! Jeder Pflegebedürftige kann nur aus seiner ganz persönlichen Erfahrung und aus seinen Lebensumständen heraus urteilen was Hilflosigkeit und Scham für ihn bedeuten.

    1. Mit Deinem Einwand hast Du unbedingt Recht, Isa.
      Ich denke auch nicht, dass der RTL-Beitrag allgemeingültig war, kann aber aus meiner beruflichen Erfahrung heraus durchaus einiges betätigen, was er gezeigt hat. Wobei auch das nicht allgemeingültig ist, denn ich kann letztendlich auch nur die Arbeit von Kollegen beurteilen, mit denen ich selbst zusammen gearbeitet habe.
      Was auch eine Rolle gespielt haben mag:
      Männer sind im Allgemeinen wesentlich schmerzbefreiter gegenüber fremder Hilfe als Frauen – und auch das Alter spielt eine Rolle, in dem jemand das erste mal Hilfe braucht…..

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