Dabei bleibt die Himmelbläue des Vormonates. Nur halt etwas kräftiger
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Früher war ja auch nicht immer alles gut, da herrschten – zumindestens bei uns auf dem Dorf – straffe Sitten. Aber manches war halt auch nicht schlecht, wenn auch aus heutiger Sicht schon etwas merkwürdig anmutend:
So war es damals im Dorf üblich, ab Ostern – oder allerspätestens ab 1.Mai (also ab heute) – die langen Hosen einzumotten und den Sommer über (also bis zu den Herbstferien) in kurzen Lederhosen rumzulaufen. Zur Not halt auch mit einer langen Strumpfhose darunter bis die Eisheiligen vorbei waren. Unsexy, aber so war es nun mal.
Für diese Kleiderordnung gab es neben den modischen Aspekten (alle trugen solche Hosen) natürlich auch ganz praktische Gründe, zumal wir Dorfkinder uns im Sommer ja mehr draussen als drinnen aufgehalten haben:
Im Wald , in Scheunen, in den Ställen, in der Mühle und natürlich auch in den Remisen der Landmaschinen hatten wir unser Revier und unseren Abenteuerspielplatz – und grosse Rücksicht auf die Bekleidung zu nehmen war dabei sicher nicht die erste Priorität. Da war es einfach besser, sich mal das Knie aufzuschlagen, als immer wieder mit kaputten Hosen nach Hause zu kommen. Wenn doch mal was kaputt ging, war ein Pflaster schneller geklebt als die Hose geflickt und Stubenarrest riskiert.
Ausserdem bekam man praktischerweise keine nassen Hosenbeine, wenn man anlässlich der üblichen „Bandenkriege“ mal durch den Bach waten oder über den Misthaufen klettern musste. Auch auf der – verbotenen!! – Heurutsche hatte das Leder Vorteile, weil man sich keine Splitter einreissen und so schneller dem Verwalter entkommen konnte, der uns nicht gerne auf dem Heuboden über dem Kuhstall sah.
Sowas kam öfter vor… schliesslich war der Heuboden unser Lieblingsversteck mit bester Aussicht über Hof und Felder.
Immerhin gab es bei uns zuhause an Lederhosen keinen Mangel, die wurden nach Gebrauch als „Familienerbstücke“ von meinen älteren Kasseler Cousins an uns „Bielefelder“ weitergegeben. Schon etwas abgeschabt und speckig, aber das hatte ja auch was für sich. Damit musste man sich nicht mehr so vorsehen, wenn es mal wieder drunter und drüber ging.
Sonntags oder für „schick“ allerdings waren glattledrige schwarze „Sonntagshosen“ angesagt, nicht so dick und robust wie die rauhen Schweinepellen, die wir die Woche über trugen. Die waren empfindlicher und mussten „geschont“werden, so wie auf diesem Bild, einer typischen „Sonntagsaufnahme“ und eines der wenigen Kinderbilder, die ich von mir besitze:
Meine Brüder und ich, der ich den Vorteil hatte,
der Grösste, wenn auch nicht der Älteste zu sein.
Meine Grösse war allerdings lederhosentechnisch auch mein Glück:
So bekam ich immer als Erster die noch gut erhaltenen „Abgelegten“ meiner Cousins, mit der Chance ein paar Monate lang an der „Verbesserung der Patina“ zu arbeiten, bevor mein älterer Bruder die guten Stücke im nächsten Jahr von mir erbte und schlussendlich mein vier Jahre jüngerer Bruder am Ende der „Verbraucherkette“ stand. Danach wurden die von Träger zu Träger immer stärker müffelnden Schweinsledernen zum Glück endgültig entsorgt – aber nur, weil es in unsere Familie keine jüngeren Kinder mehr gab, die sie noch weiter „auftragen“ konnten.
„Used-Look“ also schon damals, wenn auch durch ehrlichen Gebrauch erworben und nicht schon vorgealtert im Laden gekauft….
Wobei das Wort „Müffeln“ die Ausdünstungen dieser Beinkleider nur sehr zaghaft umschreibt – wie bei ihrer Vorgeschichte sicherlich verständlich ist:
Zwei „Generationen“ Stadtkinder und drei „Generationen“ Dorfkinder hinterlassen halt ihre olfaktorischen Spuren mit einer Miśchung aus Trümmerstaubgeruch (in Kassel gab es bis weit in die sechziger Jahre hinein grosse Trümmfelder aus dem Krieg – die bevorzugten Spielplätze meiner Cousins), Wagenschmiere, Stallgerüchen, Silageduft, Kuhfladenaroma und Jauchespritzern, die auch die beste „Lederhosenreinigung“ mit Wurzelbürste und grüner Schmierseife nicht mehr entfernen konnte.
Moderne Geruchskiller wie etwa Febreze waren halt noch nicht erfunden und man nahm, was gerade zur Hand war.
Anschliessend waren die Hosen allerdings bretthart und standen von alleine … womit wir auch bei ihrem grössten Nachteil wären:
Der Geruch der „Schwarten“ war nach der Säuberung zwar erträglicher, aber wundgescheuerte Beine (Wolf laufen) vorprogrammiert, bis das Leder nach ein paar Tagen wieder „eingetragen“ und etwas geschmeidiger war. (Mit ein Grund, weshalb ich froh war, nicht als Letzter in der Lederhosenerbenkette zu stehen – zumal meine Cousins als Stadtkinder eher pfleglich damit umgegangen sind und keine Jauchegruben in ihrem Revier hatten – das Leder also noch nicht die typischen ländlichen Sommerdüfte angenommen und auch keine feuchte Reinigung hinter sich bringen musste..)
Mein kleiner Bruder als letzter der Kette hatte deshalb am meissten unter den Gerüchen und den „Waschnebenwirkungen“ der Gebrauchthosen zu leiden, allerdings auch als erster davon profitiert, als die Buxen endlich ausser Mode kamen und durch simple Turnhosen ersetzt wurden.
Da muss er etwa so alt gewesen sein wie ich auf dem angehängten Foto, also sechs oder sieben Jahre und gerade in die Schule gekommen – während ich meine letzte Lederpelle (samt langer Strumpfhose) erst mit Beginn des Konfirmandenunterichtes entsorgen durfte…. Einerseits ganz froh, meine „fetzigen“ Schul-NIetenhosen endlich auch in der Freizeit anziehen zu dürfen, heimlich aber auch ein wenig traurig, weil die Lederdinger eigentlich doch ganz praktisch waren
Tja, so war das damals am ersten Mai in Ostwestfalen auf dem Dorf:
Überall käsig-blasse Jungenbeine, die aus etwas zu grossen, wintersteifen Lederhosen lugten, die Knie noch heile, das Leder noch sauber – der Beginn der besten Zeit des Jahres…
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