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Papierkrieger

Eigentlich hatte ich ja mal Krankenpfleger gelernt, weil ich gerne mit Menschen arbeite.
Von Papierkrieg war dabei nur am Rande die Rede. Und der nimmt von Jahr zu Jahr mehr überhand.

Natürlich  ist völlig klar, das wir das was wir tun auch irgendwie dokumentieren müssen. – Blutzuckerwerte, Blutdruck, besondere Beobachtungen, Pflegeplanung,  Leistungsnachweise usw. – all das will ja irgendwie festgehalten werden. Und das macht auch Sinn.
Aber so, wie das momentan läuft, sollte es eigentlich nicht sein:

Protokolle über Protokolle, die täglich zu führen sind – viele davon völlig widersinnig, weil nur dazu da, um bei der alljährlichen Qualitätskontrolle durch den MDK keine Punktabzüge zu bekommen. Denn diese Kontrollen beziehen sich weitgehend auf die reine Papierform.
Die Prüfer bringen Stunden damit zu, Patientenakten Blatt für Blatt akribisch zu prüfen und die allerkleinsten Fehler zu notieren, was letztendlich dann zur Herabstufung der Qualitätsnote führt.
Die Qualität unserer eigentlichen Arbeit – nämlich der Pflege – spielt dabei kaum noch eine Rolle.
Um die zu prüfen, müssten die Kontrolleure sich nämlich mit auf unsere täglichen Pflegetouren begeben und sich einen wirklichen Eindruck von unserer Arbeit verschaffen…..

Papierform also ist gefragt, und die muss zu Anfang jedes Jahres zur Höchstform auflaufen, weil immer im ersten Quartal der MDK auch in unserer Firma aufschlägt.
Deshalb brummt es in unserem Büro auch gerade wie im Bienenstock.
Zusätzlich zur täglichen Arbeit werden alle Akten nochmal extra überprüft, die Pflegedienstleitung hat Lampenfieber und ist entsprechend dünnhäutig, der Stress wird bis zur letzten Haushaltshilfe durchgereicht., denn schliesslich gilt es die Bestnote 1,0 zu verteidigen, die wir in den letzten Jahren immer erreicht haben….
Und das bedeutet zusätzlich zum normalen Arbeitspensum noch reichlich Arbeitsaufträge für alle, die täglich bei den Kunden unterwegs sind.
Papiere werden hin und her getragen, Medikamente werden doppelt und dreifach überprüft, es muss geguckt werden, ob die Gebrauchsanleitungen für alle Hilfsmittel  vor Ort sind (selbst für simple Lagerungskissen und Toilettensitzerhöhungen) fehlendes muss organisiert werden, Protokolle müssen gegengechecked werden ….. undundund.

Gut ein Viertel der täglichen Arbeitszeit geht alleine für diesen Papierkrieg drauf – Zeit, die wir – wie meine alte Stationsleitung Schwester Änne mal süffisant bemerkte  – „unseren Patienten stehlen“….

Denn natürlich verlängern sich die Einsatzzeiten nicht, nur weil mehr Papier bearbeitet werden muss – und bei manchen Tätigkeiten ist der zeitliche Aufwand für die Dokumentation schon zu „normalen“ Zeiten höher, als die Zeit, die ich für die eigentliche Durchführung brauche, weil es eben aus Sicht des MDK nicht reicht, wenn ich die Arbeit nur auf einem Blatt Papier verewige:
Bei einer einfachen Medikamentengabe sind es unter Umständen  bis zu fünf Blättern die es zu bearbeiten gilt:
Leistungsnachweis, Bestandsliste, Pflegebericht, ggf. auch noch Betäubungsmittelprotokoll und Schmerzprotokoll.
Das alles für eine einzige Tablette :-/
Und wehe, man vergisst eine einzige Eintragung….. dann gilt der ganze Arbeitsauftrag als nicht durchgeführt – und das wiederum führt zu Abzügen in der Qualitätsbewertung.

Parkinson lässt grüssen – denn Sinn macht diese Art der Prüfung nicht – jedenfalls nicht, wenn man von dem ausgeht, was der Gesetzgeber seinerzeit mal im Kopf hatte, als diese Qualitätsprüfungen eingeführt wurden:
Da sollte es nämlich darum gehen, die Qualität der Pflege zu erhöhen und nicht die Quantität der Papiere.

Dumm halt nur, dass den Kostenträgern alleine überlassen wurde, diese Prüfungen mit Inhalten zu füllen.
Und was machen Büromenschen, wenn sie etwas überprüfen sollen, was sich nicht mit ihrem Weltbild deckt?
Sie krallen sich an Papieren fest – je mehr, je besser….

Was mich daran ärgert ist nicht mal so die Prüfung selbst, sondern eher, dass damit die Qualität meiner beruflichen Fähigkeiten alleine darüber bewertet wird, wie gut ich Formulare ausfülle und Protokolle führe.
Aber das ist ja auch kein Wunder bei der mangelnden Wertschätzung, die von politischer Seite aus meinem Beruf widerfährt. Als Wahlkampfthema chic, aber ansonsten keiner weiteren Beachtung wert.

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