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Teestündchen

Gerade eben, bei meiner letzten Kundin, hatte ich ein Erlebnis wie noch nie in meinem langen Arbeitsleben.
Ich hatte zwar schon oft davon gehört, dass alte Menschen in ihrer Einsamkeit sich virtuelle Gesprächspartner suchen, um das Alleinesein zu überbrücken- aber in der  Realität habe ich das so noch nicht erlebt – jedenfalls nicht so ritaulisert und nicht im Zusammenhang mit Menschen, die nicht dement sind:

Bei dieser letzten Kundin, Frau M., haben wir täglich einen Einsatz, um ihre Medikamente für den nächsten Tag zu stellen. Und genau deswegen war ich heute auch dort.

Nun weiß ich, dass Frau M. keine Angehörigen mehr hat und war deshalb auch etwas verwundert, als ich, in der Küche sitzend und über die Medikamentenbox gebeugt hörte, wie sie sich im Schlafzimmer angeregt unterhielt, so wie andere Leute das am Telefon tun.

Wer Ihr Gesprächspartner war, wurde mir dann aber erst klar, als ich mich von ihr verabschieden wollte:

Da sass sie nämlich im Schlafzimmer auf dem Bett bei Kerzenschein und einem Tee, Vis-a-Vis  mit ihrem großen Spiegel und unterhielt sich angeregt mit ihrem Spiegelbild.

Als sie bemerkte dass ich in der Tür stand und dieses Bild beobachtete, meinte sie zu mir:

„Sie glauben jetzt sicher ich spinne und führe hier Selbstgespräche. Aber das ist nicht so! Ich mache jeden Tage Teestunde mit meiner besten Freundin.
Die ist zwar schon lange tot, aber das macht ja nichts.
Trotzdem kann ich mit ihr reden. Und damit ich mich dabei nicht so einsam fühle, setze ich mich auch manchmal mit meinem Tee hier vor den Spiegel.“

Nein, ich halte sie nicht für einen Spinnerin, kenne ich sie doch sonst als eine Frau, die trotz ihr Einschränkungen durch ihre Gicht „mit beiden Beinen im realen Leben steht.“
Deshalb  habe  ich ihr da nur zustimmen können, denn ist es doch  ganz legitim, sich mit Menschen zu unterhalten, die einem nahe stehen.  Dabei ist es auch egal, ob diese Menschen im selben Raum sind –  das kann man genau so  gut  auch per Telefon oder eben in Gedanken tun.

Und dann habe ich mich von ihr verabschiedet und ihr ein schönes Wochenende gewünscht.

Etwas verwundert und zum Schmunzeln angeregt hat mich anschliessend  aber doch, was ich noch mitbekommen habe, als ich die Wohnungstür zuziehen wollte:
Da hat Frau M. nämlich ihrer Freundin erzählt, was ich doch für ein netter und verständnisvoller Kerl wäre und das ist ja schön sei, dass ich sie nicht für eine Spinnerin halten würde.

Trotzdem gibt mir dieses Erlebnis zu denken.

Frau M. ist nämlich eine Frau, die sehr gerne Kontakt zu Menschen hat und  sicher stark unter ihrer Einsamkeit leidet, ohne dass sie das jemals zugeben würde….
Trotzdem lehnt  sie es ab, beispielsweise in eine Tagesstätte zu gehen, um damit etwas gegen ihr Alleinesein zu tun. Dazu sagte sie mir mal, dass es ihr ja nichts bringen würde, unter lauter fremden Menschen zu sein.
Und bisher habe ich auch immer geglaubt, dass ihr die Einsamkeit nicht viel ausmacht und sie gut damit zurecht kommt, ihre Wohnung nicht mehr verlassen zu können….

Später, im Auto, kam mir dann der Gedanke, wie es mir wohl gehen würde, wenn ich so leben würde wie sie – Ohne Angehörige und ohne Kontakt zu Menschen, die ich gerne habe.

Ganz ehrlich:
Ich kann mir das nicht vorstellen und ich möchte mir das auch gerade nicht vorstellen.

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