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Die Umstände, die Umstände…..

Das Völkerschlachtdenkmal  in Leipzig*, der Johannesberg in Bad Nauheim, der lange Sandstrand auf der Düne in Helgoland und noch einige Orte mehr…
Nicht ganz unproblematisch für mich, aber dennoch:

Ich habe sie erstiegen, erlaufen und mir so zu eigen gemacht, obwohl ich vorher zumindest reichlich Respekt, wenn nicht sogar Angst davor gehabt habe, ob ich das wohl schaffen kann sie zu bezwingen. Wobei es bei Licht betrachtet eigentlich ja eher darum ging, mich selbst und meinen inneren Schweinehund zu überwinden, der mir immer wieder einflüstern wollte, dass mir das wohl nicht gelingen  könnte mit meinen eingeschränkten fussgängerischen Fähigkeiten und den mit Sicherheit folgenden massiven Schmerzen, wenn ich es versuchen würde.

Und ich gebe zu, manches ist mir auch nicht gelungen, bzw. ich habe es gar nicht erst versucht, weil mein Schweinehund die Oberhand behalten hatte – nicht ohne mich danach zu ärgern, dass ich nicht wenigstens den Versuch gemacht habe….

Was mit ein Grund ist, inzwischen  auch Ziele nicht aufzugeben, die ich mir mal gesetzt hatte, wie beispielsweise das Pilgern, welches im letzten Jahr hier schon mal Thema war, bevor ich es der vertrackten Reha in Holm wegen aufgeschoben habe. Wohl wissend, dass es eine gehörige Plackerei werden wird, verbunden wieder einmal mit reichlich Schmerzen und ebenso reichlichem Tablettenkonsum.

Aber soll ich es deshalb einfach aufgeben, soll ich auf den Schweinehund hören, der jetzt schon wieder ganz laut in mein rechtes Ohr brüllt, dass ich das sowieso nicht schaffe – gar nicht schaffen kann, weil….?
Sollte ich mit den Leuten hadern, die den Weg von Lübeck nach Hamburg so angelegt haben, dass er eine Menge an kaum überwindbaren Hürden für mich bereit hält, mit Wegstrecken, die ich armer Behinderter gar nicht laufen kann?
Der Pilgerführer jedenfalls enthält einige Passagen, die mehr als grenzwertig für mich sind.
Oder sollte ich mich selbst bemitleiden, weil ich nicht mehr in der Lage bin, einen Weg zu gehen, der noch vor ein paar Jahren ein buchstäblicher Spaziergang gewesen wäre, damals, als ich noch jünger war und besser zu Fuss als heute –  es also die „Umstände“ sind, die mich hindern das zu tun, was ich gerne möchte?

Nee, das wäre wohl zu einfach.
Denn im Grunde liegt es doch ganz alleine an mir, ob ich das Ziel erreiche, was ich mir gesetzt habe.
Es liegt an mir, ob ich den Schweinehund die Oberhand gewinne lasse und ob seine Einflüsterungen zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden – oder ob ich versuche den Weg zu gehen, auch wenn ich später möglicherweise feststelle, dass es doch nicht geht.

Aber dann habe ich es wenigstens versucht.
Genau wie damals beim Völkerschlachtdenkmal, auf dessen Spitze ich gestanden habe, beim Johannesberg, der riesig hoch erschien  und beim Helgoländer Strand, der mit jedem Schritt immer kürzer wurde. Da war es jedes Mal so, das ich erst davor stand und der blöde Kerl in meinem Ohr mir das ausreden wollte.
Hätte ich auf ihn gehört, hätte ich die Erfolgserlebnisse nie gehabt, diese Ziele erreicht zu haben – allen Schmerzen zum trotz.

Also: Versuch macht klug!

Erst recht, wenn ich die Möglichkeiten einbeziehe, die ich jetzt durch das Luxusticket  und meine wirklich freie Zeiteinteilung habe.
Nämlich nicht mehr angewiesen zu sein auf die Pilgerherbergen am Weg,die ich zu bestimmten Zeiten erreichen muss, sondern jeder Zeit meinen Weg zu unterbrechen,  in Bus und Bahn einsteigen zu können, nach Hause zu fahren und am nächsten oder übernächsten Tag den Weg von neuem an der Stelle aufnehmen zu können, an dem ich ihn unterbrochen habe.
Länger als die Entfernung zwischen zwei Bushaltestellen muss schlimmstenfalls ja keine Etappe mehr sein.
Und wenn ich statt der ursprünglich geplanten Woche dann drei oder vier Wochen brauche, macht es auch nichts, weil niemand mich drängt und niemand mir vorschreibt, wann und wie weit ich laufen muss.
Ausser mir selbst und dem Ziel, das ich mir gesetzt habe.

So spricht also nichts dagegen, es noch mal zu versuchen und mir einen Plan zu machen, wie das genau funktionieren könnte. Nicht mal die „Umstände“, die bei genauerer Betrachtung sogar besser sind als letztes Jahr, auch wenn ich rein subjektiv gesehen eher schlechter als besser laufen kann.


*) Ja, das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig war schon so ein ganz besonderer Fall:

Damals, als die Liebste auf ihrer Welttournee da Station gemacht hat, war ich ja ein paar Wochen bei Ihr, weil mein Doktor meinte, meine Gehübungen frisch nach meinem Gefässverschluss könne ich auch gut  in Leipzig machen, deshalb müsse ich ja nicht hier in Hamburg im Kreis rumlaufen.
Und so standen wir eines Tages auch vor dem Völkerschlachtdenkmal.
Woraufhin in mir dann der spontane Beschluss reifte, unbedingt da rauf zu wollen.
Umgesetzt habe ich das dann ein paar Tage später, im Januar 2016, ohne zu wissen, worauf ich mich da einlasse und gerade mal 150 Schritt weit ohne Schmerzen laufen könnend – vom Treppe steigen mal ganz abgesehen., was damals schon ein kleines Drama war.
Und Treppen gab es reichlich bis oben hin – im oberen Teil ab der grossen Halle teils eng und gewunden und gerade mal so breit und hoch, dass ich mich an beiden Seiten mit den Schultern am Mauerwerk und halb gebückt – da rauf quälen konnte – ständig geplagt vom Schmerz in meinen Beinen und ein wenig auch von meiner Platzangst ob der mehr als beengten Raumverhältnisse.
Umkehren war auch nicht, denn hinter mir waren einige junge Leute, die dann auch alle hätten umkehren müssen, um mir Platz zu machen.
Also bleib nur der Weg nach oben, zunächst gezwungenermassen, dann aber freiwillig, nachdem ich den Blick aus diesem Fenster hatte:
Da hat es dann kein Halten mehr gegeben, aller Quälerei zum Trotz , obwohl die Treppen noch enger wurden.
Und der Ausblick hat gelohnt, begleitet zum ersten mal von dem Gefühl, welches ich oben versucht habe zu beschreiben.
Nur leider:
Sowas vergisst man auch gerne mal wieder – nämlich, dass es geht, wenn man nur will und das die „Umstände“ eigentlich keine Entschuldigung sind, ein vermeintlich unerreichbares Ziel aufzugeben.


In diesem Sinne:
Bleibt gesund und bleibt behütet
Wir lesen uns


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